Ryszard Lipczuk
Germanistisches Institut
Universität Szczecin
Carl Loewe in
Johann Gottfried Carl Loewe lebte in den
Jahren 1796 – 1869, geboren in Löbejün bei Halle, gestorben in Kiel. Den
größten Teil seines Lebens verbrachte er allerdings in Stettin und hier erlebte
er auch seine beste Zeit als Künstler. Gleich nach Beendigung seines Studiums
in Halle im Jahre 1820 bekam er Kenntnis davon, dass in der Jakobikirche, der
Hauptkirche Stettins die Kantorstelle frei geworden ist. Mit Unterstützung des
Kanzlers der Universität Halle Niemeyer bewarb er sich um diese Stelle. Da aber
das Stettiner Magistrat sicher gehen wollte, musste sich der junge Musiker,
Türks[1]
Schüler, zuerst einigen Prüfungen unterziehen, so bei Carl Friedrich Zelter in
Berlin, und mehrere positive Gutachten holen, erst dann konnte er in den
Wettbewerb gegen den Organisten Bach[2]
aus Berlin treten, aus dem er ohne Schwierigkeiten als Sieger hervorging. Schon
im Februar 1821 als neu ernannter Musikdirektor von Stettin schreibt er einen
optimistischen Brief an Zelter, in dem er über seine Aktivitäten und seine
Begeisterung schreibt: „(...) So, mein innigst und hochverehrter Herr
Professor, wirke ich denn aus allen meinen Kräften mit möglichster Treue in
meinem Berufe, den mir die Vorsehung zuerkannt hat, und ich sehe schon manche
Früchte meines Fleißes und Strebens; eine süße Belohnung für eine im Schweiß
gesäete Saat. Ich fühle mich übrigens recht glücklich unter den biedern
Pommern, und die Stelle ist doch auch von der Art, dass sie so ziemlich
anständig ihren Mann nährt. Überdem trage ich die Überzeugung in mir, dass man
hier mit mir vollkommen zufrieden ist.“ (zit. nach: Kühn 1996, 107) Auch in seiner Selbstbiographie schreibt er:
„In Stettin hatte ich nun meine bleibende Heimath gefunden.“ (....) Nützliche
Thätigkeit, künstlerisches Schaffen, wohltuende Geselligkeit und ein Kreis
theilnehmender Freunde, vor Allem aber das Glück im Hause (...) liessen in mir
niemals den Wunsch nach einer Veränderung des Wohnsitzes aufkommen.“ (Bitter
1994, 100)
Loewes Wirken in dieser
preußischen Stadt in Pommern war durch eine enorme Aktivität und Vielseitigkeit
gekennzeichnet. Er war nicht nur
Komponist, Musikdirektor der Stadt, Kantor und Organist der protestantischen
Jakobikirche, seine Tätigkeit in Stettin entwickelte sich auch auf anderen
Gebieten: er war Veranstalter von Kirchen- und Stadtkonzerten, Gründer und
Dirigent eines Gesangvereins, er trat als Pianist, Geigenspieler und Sänger
auf. Loewe wirkte auch als Pädagoge im elitären traditionsreichen
Stadtgymnasium, wo er Musik, Gesang, Geschichte, Griechisch und
Naturwissenschaften lehrte, darüber hinaus gab er Privatunterricht in
Klavierspiel, Orgelspiel, Gesang. Schließlich schrieb er zwei Lehrbücher für
den Gesang- und Klavierunterricht. Auch am Hofe des preußischen Königs
Friedrich Wilhelm des IV. in Sanssouci und in Berlin gab Loewe seine Konzerte.
Der König pflegte sich auf die rechte Seite des Klaviers zu setzen, um dem
Musiker ins Gesicht schauen zu können. (nach Bitter 1994, 98) Besonders gerne hörte der König Loewes
historische Balladen. Bekannt ist, dass Loewe mit seinen patriotischen und
recht konservativen Anschauungen in hoher Gunst beim preußischen Königshof
stand.
Beachtenswert ist Loewes
reiche Konzerttätigkeit in Stettin. So kommt es im Jahre 1827 zu einem großen
Konzert, in dem Werke von Mendelssohn, Beethoven und Weber aufgeführt wurden.
Carl Loewe trat dabei als Dirigent und Klavierspieler, und Felix
Mendelssohn-Bartholdy als Klavier- und Geigenspieler auf. (Szczêsny 2001, 266)
Im Jahre 1831 führte Loewe in Stettin die Matthäuspassion von Johann Sebastian
Bach auf. Loewe war dazu ein
ausgebildeter Sänger, der imstande war, seine einzigartigen Balladen selbst
vorzutragen.
Als Anerkennung für seine
Verdienste wurde ihm 1832 an der Universität Greifswald eine Ehrendoktorwürde
verliehen. Im Jahre 1837 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Königlichen
Akademie der Künste.
Heute ist Carl Loewe als
Komponist so gut wie vergessen, obwohl er eine große Menge von musikalischen
Werken geschaffen hat, immerhin ca. 400 Balladen, 17 Oratorien, sechs Opern,
zwei Sinfonien, darüber hinaus
komponierte er Kantaten, Lieder, Klaviersonaten, Kammermusik. Von seinen
Oratorien waren wohl das monumentale „Zerstörung Jerusalems“ (1829) und das
Legendenoratorium „Die Siebenschläfer“ (1833) am berühmtesten.
Zweifellos gilt Loewe als einer der hervorragenden Schöpfer der
romantischen Gesangs-ballade, was sowohl in deutschen wie auch in polnischen
Lexika hervorgehoben wird.[3]
Er schrieb Musik zu Balladen von Goethe (zu den bekanntesten Loewes
Balladen gehört „Der Erlkönig“), Herder
(„Herr Oluf“), Freiligrath, Fontane, aber auch von weniger bekannten Dichtern,
er schrieb auch Musik zu Texten nichtdeutscher Autoren, unter anderem von Adam
Mickiewicz. Gerne nahm er mystische, düstere, unheimliche Motive auf, dabei
aber spielte für ihn neben dem Inhalt
auch die musikalische Seite eine wichtige Rolle.
Loewe stand auch im Kontakt mit dem Fürsten und Komponisten Anton Radziwi³³,
der Musik zu Goethes „Faust“ schrieb[4],
war mit Carl Maria von Weber und Felix Mendelssohn-Bartholdy befreundet, in
Stettin machte er schließlich Bekanntschaft mit Franz Liszt.
Das Kultur- und Musikleben in
Stettin war im Vergleich zu Berlin oder Leipzig weniger entwickelt, so dass der
ehrgeizige und fleißige Loewe hier gute Möglichkeiten hatte sich zu bewähren
und zum kulturellen Aufblühen der Stadt beizutragen[5].
Immerhin wirkten in Stettin mehrere Künstlersalons[6],
in denen das künstlerische, literarische und wissenschaftliche Leben blühte.[7] Loewe beteiligte sich sehr gerne an solchen
Veranstaltungen, vor allem aber im Hause der Geheimrätin Auguste Sofia Tilebein
in Züllchow (¯elechowo) bei Stettin, wo er Musikwerke bekannter Komponisten
spielte, aber vor allem seine eigenen Lieder und Balladen vortrug. Loewe war
voller Begeisterung von dieser Frau, seiner Gastgeberin und Gönnerin. Hier ein
Zitat aus einem Brief von Frau Tilebein an den Weimarer Kanzler Wilhelm Müller
von Gerstenbergk, wo sie über Loewe erzählt: „Tausend Einladungen lehnt er ohne
Entschuldigung ab, nirgends will er singen, dem kleinsten wie dem größten
Dilettantenzirkel entzieht er sich mit Eigensinn, und zu mir kommt er, wenn ich
winke, ja noch öfter von selbst, und spielt und singt unaufgefordert
stundenlang.(...)“ (nach König 1937, 52). Und so schreibt Gerstenbergk an
Frau Tilebein über Loewe: „Ganz Stettin kommt mir immer vor wie Haus voll
Pagen und Diener, denen eine Ehre geschieht, wenn sie ihm die Schleppe tragen.
Ich meine das ernst; denn wem der Geist wurde, der soll herrschen.“ (nach
König 1937, 47) Gerstenbergk schrieb
übrigens ein Frau Tilebein gewidmetes Gedicht, das von Loewe vertont wurde:
„Gruß an Züllchow“. Es beginnt mit „Liebes Haus auf Bergeshöhn“ und
wendet sich dann an die Hausherrin:
„Großes Herz, das drinnen schlägt,
Schwesterseele, edel, mild,
nie vergeß`nes Liebesbild,
Geist, der ruhig waltend trägt,
was das Schicksal auferlegt,
noch einmal sei Gruß gebracht
dir aus meiner stillen Nacht.“ (nach König 1937, 47)
Das
gastfreundliche Haus von Frau Tilebein war tatsächlich ein beliebter Treffpunkt
von Künstlern, Wissenschaftlern, Aristokraten, Kaufleuten, Geistlichen, und
selbst hochgestellte politische Persönlichkeiten wie der preußische König
erschienen dort. Zu den Gästen gehörte Johann Wolfgang Goethes Enkel und Loewes
Schüler Walter von Goethe, Goethes Schwiegertochter Ottilia von Goethe oder der
Übersetzer der Balladen von Adam Mickiewicz Carl von Blankensee. (vgl. Szczêsny
2001, 250) Bekanntlich hat Loewe Musik zu
acht Balladen von Mickiewicz geschrieben. Es waren u.a.: Der Woywode – Czaty,
Die drei Budrisse - Trzech Budrysów, Das Switesmädchen – Œwitezianka,
Frau Twardowska - Pani Twardowska.
Nicht nur Musik war im
Züllchower Kreis von Frau Tilebein wichtig, es fanden auch wissenschaftliche
Diskussionen statt, man diskutierte über Literatur, so über Goethes Faust
und Loewe selbst publizierte einen Kommentar zu diesem Werk. Heinrich Laube
schreibt in seinen „Neuen Reitnovellen“ (1837), dass allen, die in Stettin zu
Besuch kommen, drei Fragen gestellt werden: Haben Sie die neue Börse
gesehen? Sind Sie bei Frau Tilebein gewesen? Haben Sie Loewe gehört? (nach
König 1937, 51)
Nach Szczêsny wurde Loewe im Haus von Frau Tilebein, in dem er immerhin 32
Jahre lang zu Gast war, so sehr
komplementiert und bewundert, dass dies sich nachteilig auf sein
kompositorisches Schaffen ausgewirkt hat: es gab nämlich niemanden, keinen
Robert Schumann oder Maria von Weber, der ihm in freundlicher Weise hätte
kritische Bemerkungen machen und gute Ratschläge erteilen können.
(Szczêsny 2001, 256)
* * *
Über Carl Loewe selbst, über
sein künstlerisches Wirken, aber auch sein von schweren Schicksalsschlägen
geprägtes Leben wurde viel geschrieben.[8]
Manche von seinen Biographen äußern sich enthusiastisch über sein Schaffen und
seine Persönlichkeit (vgl. Runze 1905), in den anderen Darstellungen finden wir
aber schon weniger Superlative. So meinte Hans Engel, dass Loewe als Komponist
keine Entwicklung durchgemacht habe. „Unvergängliches hat Loewe nur in einem
Teil seines Balladenwerkes geleistet, also auf einem, seinem Sondergebiet.“
(Engel 1934, 3).
Mit Anerkennung äußerten sich
über sein Schaffen berühmte Künstler, so Liszt, Wagner und Schumann. (nach Engel 1934, 54, Szczêsny 2001, 162)
Auch Heinrich Heine, zu dessen Texten Loewe Musik schrieb, soll gesagt haben,
dass Loewe zu seinen beliebten Komponi-sten gehöre. Von Loewes Liedern und
Balladen zu Heines Texten sei der Dichter so begeistert, dass er sie in seiner
Sterbestunde hören möchte. (nach Szczêsny 2001, 237)
Die anderen waren von der Loeweschen Musik weniger begeistert. So äußerte
sich Brahms recht abschätzig über Loewe: „Bei uns in Wien wird er leider sehr überschätzt. Man stellt
ihn in seinen Liedern neben Schubert, in seinen Balladen über Schubert und
vergisst, dass, was bei dem einen Genie, bei dem anderen oft nur ganz
talentvolle Mache, mitunter sogar höchst mittelmäßige, ist.“ (nach Engel
1934, 28)
* * *
Anhand eines Kapitels aus
seiner Selbstbiographie („VI. Stettin“)(Bitter 1994, 75 ff.) will ich
nun einiges über Loewes Schilderung seiner Freunde und auch der Nächsten
berichten. Zugleich will ich auf seine Ausdrucksweise aufmerksam machen. Loewes
Sprache kann man als emotional, zuweilen pathetisch und überschwänglich
bezeichnen. Besonders gerne verwendet er solche emotionsgeladenen und zugleich
positiv gefärbten Adjektive wie: liebenswürdig, liebevoll, lieb, vorzüglich,
trefflich, genial, glänzend, edel, schön, auch im Superlativ, z.B.
reichste, grossartigste oder Kollokationen wie: reine Seele, treues
Herz; edle, treffliche, begabte Frau;
unendliche Lieblichkeit, kluger Blick, vorzüglicher
Lehrmeister, faszinierende Persönlichkeit, genialer Mann, feiner Verstand, schließlich deadjektivische Substantive
wie Lieblichkeit, Unermesslichkeit.
In den folgenden Loewe-Zitaten
werden von mir solche Wörter oder Wortgruppen mit positiven emotionalen
Konnotationen durch Kursivschrift hervorgehoben.
Mit pathetischen Worten erzählt Carl Loewe von seinen Beziehungen zur Geheimrätin Sofia Auguste Tilebein in Züllchow bei Stettin (heute: ¯elechowo – ein Stadtviertel von Szczecin). Im Künstlersalon von Frau Tilebein verbrachte Loewe besonders gerne seine Zeit, dort sang er seine eigenen Lieder und Balladen, spielte Geige und Klavier. „Diese edle hochbegabte Frau ist mir und den Meinen bis zu ihrem 1854 erfolgten Tode eine treue, aufopfernde Freundin geblieben. Was hatte ich ihr bieten können, als den Vortrag meiner Lieder und Balladen?“ (Bitter 1994, 92) Dann lesen wir von „dieser trefflichen und begabten Frau“, bei der man „ein volles geistiges Verständniss für alle grossen, wie für die kleinen Verhältnisse des Lebens, für alles Edle und Gute“ finden konnte. „Ein halbes Jahrhundert war damals, als ich sie zuerst sah, an dem Geist dieser Frau vorübergegangen, die mit ihrer empfänglichen Seele und ihrem klugen, ruhigen Blick ein selten klares Urtheil verband.“ (ebenda, 92)
An einer anderen Stelle
schreibt Loewe von seinem Freund vom Städtischen Gymnasium, Professor
Grassmann, von dem er viel lernen konnte. „Wie lebhaft standen nun
diese einsamen Nächte meiner Heimaths- und Jugendzeit vor meiner Seele, wenn
ich im Winter mit meinem Freunde, dem Professor Grassmann die Sternwarte des
alten Gymnasiums in Stettin bestieg, und wenn er mich dann die Himmelspracht
studiren liess. Das war eine grosse neue Welt für mich, und ich hatte an
Grassmann einen vorzüglichen Lehrmeister. Ich habe seit dieser Zeit die
Astronomie mit Eifer getrieben. Es ist das eine Wissenschaft, die uns so weit
über Welten und Erden in ferne Räume, in die Unermesslichkeit der grossen,
gewaltigen Schöpfung hinaushebt!“ (Bitter 1994, 82)
Eine noch größere Intensität an
positiven Emotionen bringt er zum Ausdruck, wenn er sich an seinen engen
Mitarbeiter und Librettisten Ludwig Giesebrecht erinnert. „Von allem
Guten, das mir Stettin geboten hat, war mir der Umgang mit Giesebrecht die werthvollste
Gabe. Dieser geniale Mann, der mit leichter Hand ganze
Zeiträume in ein paar Verse zusammendrängen vermochte, der seine gedrungenen
Formen mit der reichsten, grossar-tigsten Poesie zu
durchschweben verstand, schien mir zum Oratorien-Dichter geschaffen und ich
konnte ihn sehr bald als meine rechte Hand betrachten.“ (Bitter 1994, 87
f.)[9]
In demselben Kapitel
beschreibt Carl Loewe seinen kurzen Besuch bei Johann Wolfgang von
Goethe in Jena. Wie Loewe schreibt, war Goethe „ausserordentlich gütig“.
(Bitter 1994, 76) Er unterhielt sich
mit dem jungen Studenten über das Wesen der Ballade. „Ich sagte ihm, wie ich
die Ballade vor allen anderen Dichtungsformen liebe, wie die
volks-thümliche Sage seines Erlkönigs in dem grossartig romantischen Gewande
seiner Dichtung mich ganz hingenommen, dass ich diesen Erlkönig habe
componiren müssen[10]:
„Ich hielte schon deshalb den Erlkönig für die beste deutsche Ballade,
weil die Personen alle redend eingeführt seien.“ „Da haben Sie Recht,“ sagte
Goethe. (...) Nun bat ich ihn, ihm den Erlkönig vorsingen zu dürfen. „Leider
habe ich hier kein Instrument“, antwortete er mir mit aufrichtigem Bedauern.
„Das thut mir um so mehr leid, als ich immer besser arbeiten kann, wenn ich
Musik gehört habe. Aber besuchen Sie mich in Weimar; da habe ich alle Freitag
bei mir einen musikalischen Abend, und es würde mich freuen, dort meine
Dichtung in Ihrer Musik wiederzuhören.“ (ebenda, 77) „Wie oft habe ich dieses
Besuches bei dem grossen Dichter gedacht, als ich etwa 18 Jahre später seinem
ältesten Enkel, Walther von Goethe, in der Compositionslehre Unterricht zu
ertheilen hatte“. (ebenda, 76 f.)
Dieser Teil der Selbstbiographie hat zum großen Teil eine Dialogform. Der
Erzähler will sich hier dadurch möglicherweise als echter Gesprächspartner des
berühmten Dichters zeigen.
Die Erinnerung an das Treffen mit dem großen Goethe macht dem Komponisten
offenbar viel Vergnügen und erfüllt ihn mit Stolz: „Der große Dichter ahnte
wohl, als der junge Student im Jahre 1820 in Jena vor ihm stand, nicht, dass
dieser der Lehrer seines Enkels werden sollte, seines Walther, den er so lieb
hatte.“ (ebenda, 78) Zum nächsten
Treffen mit Goethe kam es allerdings nicht, „denn als ich mehrere Jahre später
von einem Musikfest am Rhein zurück-kommend Weimar berührte, war Goethe schon
todt.“ (ebenda)
Eine etwas merkwürdige Erklärung übrigens, wenn man bedenkt, dass Goethes
Tod immerhin zwölf Jahre nach dem
dargestellten (ganz kurzen) Treffen in Jena erfolgte!
Weiter erfahren wir von den
Visiten Walthers von Goethe bei der Familie Loewe, von seiner – so Loewe
– faszinierenden Persönlichkeit und großen Begabungen, dass
dieser „ein wahrhaft liebenswürdiger und geistreicher Gesellschafter
war“. (Bitter 1994, 77 f.)
Loewe erinnert sich mit
rührenden Worten an seine erste Frau
Julie.[11]
„Nur einen Sohn hat Julie mir geschenkt. Dann ist diese reine Seele in jene
bessere Heimath abberufen worden.“ (Bitter 1994, 91) Jeder
Grashalm an ihrem einfachen Grabeshügel „war für mich ein Gruß von Ihr.“
(ebenda)
Mit gefühlvollen, warmen Worten
erzählt er von seiner zweiten Frau. Er lernte sie kennen, als sie
zusammen mit zwei anderen jungen Damen zu ihm kam, um ihn um Gesangunterricht
zu bitten. „Die Sprecherin, Auguste Lange, war von unendlicher Lieblichkeit,
und trotz ihrer grossen Jugend verständig und gehalten,
das ich noch nie Etwas dem Aehnlichen gesehen zu haben glaubte.“ (Bitter 1994,
96) Bald wurde sie seine Frau. Weiter
erscheinen in seinem Bericht solche Ausdrücke wie: „ihr war ein feiner,
alles auf das rechte Mass zurückführender Verstand und ein treues
Herz gegeben, ...“, „ihr schöner Gesang war die Zierde meiner
Oratorien“ u. ä. (ebenda, 97) An einer anderen Stelle hebt er ihre Begabung als
Sängerin, aber auch ihre restlose Unterstützung für seine künstlerische
Tätigkeit hervor. Sie sei auch „eine musterhafte Hausfrau“
gewesen. Sie habe ihm das Leben verschönert und „durch ihre treue Liebe,
ihre aufopfernde Hingebung“ für Glück und friedliche Atmosphäre zu Hause gesorgt.
(ebenda, 100)
Um die Vorzüge der
dargestellten Personen zu betonen, gebraucht der Romantiker Loewe neben vielen
Adjektiven und adjektivisch-substantivischen Kollokationen solche
hochgegriffenen Ausdrücke wie: Liebe, Eifer, Geist, Seele, Sehnsucht,
Zierde, Hingebung, wahrhaft, ausserordentlich, lieben, lieb
haben, schließlich mehrteilige Substantivierungen wie: alles Edle und
Gute.
* * *
Carl Loewe ist nicht vergessen,
die Erinnerung an sein Schaffen und seine ungewöhnliche Tätigkeit wird heute in
Deutschland gepflegt, wozu mehrere Carl-Loewe-Gesellschaften wesentlich
beitragen. Auch im polnischen Szczecin hat man ihn nicht vergessen. Loewe hat
seine Gedenktafel an der Außenwand der Stettiner Jakobikirche (Koœció³ Œw. Jakuba). Vor zehn Jahren, im Jahre 1996
wurde in Szczecin das 200. Geburtstagsjubiläum von Johann Gottfried Carl Loewe
sehr feierlich begangen und gewürdigt.
Literatur
Bitter, Carl Hermann (1994): Dr.
Carl Loewes Selbstbiographie für die Öffentlichkeit bearbeitet von C. H.
Bitter, Halle/S. (Originalausgabe:
Berlin 1870).
Dusella, Reinhold (1991): Die Oratorien C. Loewes, Gudrun Schröder Verlag:
Bonn.
Engel, Hans (1934): Carl Loewe. Überblick und Würdigung seines Schaffens, Universitäts-verlag: Bamberg –
Greifswald.
Grzywka, Katarzyna (2001): Wygl¹d i
przestrzeñ dzia³ania dziewiêtnastowiecznego salonu Warszawy i Berlina, Studia
Niemcoznawcze. Studien zur
Deutschkunde (Warszawa) XXI, 173-187.
Hanuszewska, Mieczys³awa (1964): 1000 kompozytorów, Pañstwowe Wydawnictwo Muzyczne: Kraków.
Koch, Klaus-Peter (1997): Carl Loewes Wirken für Stettin, in: Carl Loewe.
Bericht über die wissenschaftliche Konferenz anlässlich seines 200. Geburtstags
vom 26. bis 28. September 1996 im Händel-Haus Halle, Halle/S., 258–274.
Kolago, Lech (2001): Zur Symbiose
von Musik und Text in Anton Radziwills Vertonung des Faust von Goethe. Goethes
Zusatzverse für diese Komposition, Studia Niemcoznawcze. Studien zur
Deutschkunde (Warszawa) XXI, 113-146.
König, Karla (1937): Carl Löwe, Verlag Leon Sauniers Buchhandlung: Stettin.
Kühn, Henry Joachim (1996): Johann Gottfried Carl Loewe. Ein Lesebuch und eine Materialsammlung zu
seiner Biographie = Schriften des Händel-Hauses in Halle 12, Halle.
Runze, Maximilian (1905): Carl Loewe = Musiker-Biographien. Vierundzwanzigster
Band.
Philipp Reclam Verlag jun.: Leipzig.
Szczêsny, Miko³aj (2001): Carl Loewe w ¿yciu kulturalnym Szczecina w latach 1820 – 1866, Szczecin (Doktordiss.-Masch.).
Turek-Kwiatkowska, Lucyna (1986): Oœwiata, nauka i kultura szczeciñska w latach 1800-1939, Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu Szczeciñskiego: Szczecin.
Volkslexikon (1981) = Neues Grosses Volkslexikon
in zehn Bänden, Fackelverlag: Stuttgart.
[1] Bei Daniel Gottlieb Türk machte Loewe ein
Musikstudium in Halle.
[2] Es handelt sich allerdings nicht um einen
Angehörigen von Johann Sebastian Bach.
[3] vgl. Volkslexikon
1981, Hanuszewska 1964.
[4] vgl. Kolago 2001.
[5] Nach Turek-Kwiatkowska hatte Stettin gute Musiktraditionen und das Interesse an der Musik war zu Beginn des 19. Jhs. recht groß. Große Verdienste auf diesem Gebiet hatten hier die Geistlichen. In Stettin wirkten solche Musiker bzw. Konzertmeister wie: Haack, Liebert, Olschläger, Kosmaly, aber Carl Loewe nimmt unter ihnen einen besonderen Platz ein. (Turek-Kwiatkowska (1986, 142 ff.)
[7] Szczêsny (2001, 215 ff.) nennt unter anderem die Stettiner Salons der
Herzögin Elisabeth von Braunschweig, von Kugler, Bischof Ritschl,
Stahr u.a.
[8] Einen Überblick über verschiedene Arbeiten über
Loewe gibt Dusella 1991. Von polnischen Autoren ist in erster Linie der
Szczeciner Musikologe und
Wissenschaftler Miko³aj Szczêsny zu nennen.
[9] Bitter selbst bezweifelt übrigens, dass
Giesebrecht als Librettist so gute Dienste dem Komponisten Loewe erwiesen hat.
(Bitter, Anm., S. 89)
[10] Loewes Ballade
„Erlkönig” wird zu dessen besten Leistungen gerechnet.
[11] Julie war bei der Geburt des ersten Kindes
gestorben. Einige Zeit später heiratet Loewe zum zweiten Mal. Auguste war –
ähnlich wie Julie - Sängerin.